Astairre

Astairre bezeichnen sich selbst als „emotionales Energiebündel mit Hang zum Weltschmerz“. Das kann man eigentlich kommentarlos so stehen lassen, weil es den Charakter der Band perfekt beschreibt. Deswegen fange ich lieber einmal damit an, was Astairre nicht sind: Astairre waren nicht unbedingt die schnellste Band der Welt. Aber das hat auch seine Gründe.

Ihre erste EP „Wir gehen unter – kommst du mit?“ erschien bereits 2007 und traf damals mitten ins Herz: Diese junge Band schaffte es scheinbar spielerisch, die Energie des Punk, und die versierte Härte von Post-Hardcore mit großen Pop-Momenten zu garnieren. Das Ganze zudem mit deutschen Texten, die weder peinlich simpel, noch verkopft abgehoben waren. Was haben wir ihnen alle eine grandiose Zukunft vorausgesagt, immer die Angst im Hinterkopf, sie könnten schnell ihre eigenwillige Mischung verlieren, wenn sie erst einmal in die Fänge geifernder A&R-Scouts der großen Plattenlabels geraten würden. Die würden ihr Talent natürlich genauso erkennen wie wir, aber sie sicher auch dazu bewegen wollen, sich der Ecken und Kanten zu entledigen, die ihren Sound und ihre Songs doch eigentlich erst ausmachen. Glücklicherweise ist das nicht passiert. Bedauerlicherweise hörte man in den folgenden Jahren erst einmal immer weniger von der Band aus Bottrop.

Vier Jahre später traf ich Schlagzeuger Max – neben Sänger und Gitarrist Philipp der Hauptsongschreiber von Astairre – und fragte ihn, was die letzten Jahre eigentlich losgewesen sei. Die Band hatte gerade nämlich einen neuen Song namens „Durch unsere Stadt“ veröffentlicht, der mich wieder einmal ziemlich beeindruckt hatte. Sie waren melodischer geworden, hatten da einen echten kleinen Hit geschrieben und selbst ein cooles Video dazu gedreht, das die Jungs bei einer nächtlichen Kneipentour durch ihre Heimatstadt zeigte. Ihre Eigenwilligkeit war geblieben. Max erklärte mir, warum die Band einige Jahre mehr oder weniger geruht hatte; es habe einige gesundheitliche Gründe gegeben und einen Besetzungwechsel. Nun waren sie zurück, hörbar gereift, und arbeitete an neuen Songs und einem neuen Album (von dem ich erst später erfahren würde, dass es unveröffentlicht bleiben sollte).

Und so dauerte es noch einige Zeit, bis mir Max einen Song namens „Cavern Club“ zuschickte. Inhaltlich vereint der Song die frühe Geschichte der Beatles, die Aufbruchsstimmung des Rock’n’Roll und der Popmusik, die Aussicht auf eine niemals endende Jugend und die Sehnsucht nach einer solchen unschuldigen Zeit. Musikalisch ist es einfach ein unnachahmlicher Ohrwurm, den ich mir gleich fünfmal nacheinander anhören will. Der Song bringt auch die Stärke von Astairre auf den Punkt: Sie erzählen von ihrer Generation, den Träumen und Widersprüchen, den Ängsten und Hoffnungen, verpacken das Ganze aber immer in smarte und eingängige Zeilen und große Melodien, die in den rau-mitreißenden Songs stecken, die niemals prätentiös wirken, aber aus jeder Pore Haltung ausstrahlen.

Die mittlerweile zum Quartett gewachsene Besetzung hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, trotzdem haben sie das beibehalten, was sie von Anfang an ausgemacht hat. Sie haben durchgehalten, haben trotz aller Widrigkeiten niemals den einfachen Weg gewählt, sondern lieber noch einmal mehr Zeit und Energie investiert, um es am Ende genau so zu machen wie sie es haben wollen. So ist „So lange wir noch funktionieren“ statt eines Debütalbums jetzt eben ihre zweite EP nach mehreren Jahren geworden. Dabei sind Astairre eigentlich nicht die Band, die sich Ewigkeiten in den Proberaum zurückzieht, um eigenbrötlerisch an ihrem Sound zu feilen. Vielmehr nutzen sie jede Möglichkeit, um live zu spielen. Denn gerade hier kehrt ihr wilder, positiv-krachiger Gitarrenrock die musikalischen Wurzeln ihrer Jugend nach Außen: den Punkrock.

Astairre sind eine reflektierte Band. Da dauert manches eben auch mal etwas länger bis man damit zufrieden ist. Doch etwas Beliebiges zu veröffentlichen, hinter dem sie selbst nicht hundertprozentig stehen können, war für sie niemals eine Option. Zu wichtig ist ihnen dann doch der eigene kleine musikalisch-menschliche Kosmos, den sie einmal gemeinsam vor vielen Jahren im Proberaum entworfen haben. „So lange wir noch funktionieren“ beweist, dass sich der Einsatz und ihre Beharrlichkeit gelohnt haben, und die Vorzeichen nun endlich stimmen. Gebucht werden sie mittlerweile von Landstreicher Booking und ein passendes Label ist nach langer Zeit der DIY-Manier übrigens auch gefunden, aber natürlich eines, das ihrem Anspruch von Selbstbestimmung voll gerecht wird. Dass es ausgerechnet „Unter Schafen“ heißt und die EP auch noch am 01. April 2016 erscheint, passt da auch irgendwie wieder zum Humor und zum Selbstverständnis der Band – Astairre mögen nämlich alles Mögliche sein, aber ganz sicher keine Mitläufer. –  Jens Mayer

Fotocredit: Nils vom Lande

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